Nachruf Charlotte Probst

Die Lehrerin, die Schultore und Herzen für Tiere öffnete
Zum Tod von Charlotte Probst
Rede im Rahmen des Gottesdienstes am 4. Jänner 2020 in der Christkönigskirche in Graz-Wetzelsdorf

von Kurt Remele

In einer 2016 erschienenen Publikation über zwölf herausragende zeitgenössische Tierschützerinnen und Tierschützer wurde Charlotte Probst die folgende Interviewfrage gestellt: „Welche Ethik bildet die Basis für Ihr Engagement?“ Ihre Antwort lautete: „Mein Tierschutz kommt von Herzen, von meinem Gefühl. Mein Impuls ist Albert Schweitzers Aussage: ,Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.‘ Deshalb will ich die Achtung vor dem individuellen Leben der Mitgeschöpfe lehren und verbreiten.“

Wer sich dafür ausspricht und einsetzt, dass Tiere mitfühlend und respektvoll behandelt werden, wird bisweilen auch heute noch, im Jahre 2020, schief angeschaut. In den 1970er und 1980er Jahren, als Charlotte Probst mit ihren Tierschutz- und Tierrechtsengagement begann, wurde der Tierschutzgedanke noch weit weniger verstanden als heute und noch stärker angefeindet. Die zivilgesellschaftliche Befreiungsbewegung für Tiere und die akademische Tierethik standen damals noch am Anfang ihrer Entwicklung. Mitgefühl mit Tieren und Einsatz für ihre Rechte wurden häufig nicht erst genommen, als sentimental abqualifiziert, mit blöden Witzen verhöhnt. Der Mensch wurde als angebliche „Krone der Schöpfung“ hoch über alle anderen Lebewesen gesetzt.

Tiere sind Sachen, Mittel zum Zweck, reine Gebrauchsartikel für die Menschen: Wer dem widersprach, vollzog einen Bruch mit der traditionellen Ethik westlich-abendländischer Prägung. Das hat der von Charlotte Probst so geschätzte Albert Schweitzer bereits in seinem 1923 erschienenen Werk „Kultur und Ethik“ genau erkannt. Vorherrschend ist nach Schweitzer das „Dogma, dass die Ethik es eigentlich nur mit dem Verhalten des Menschen zum Menschen und zur Gesellschaft zu tun habe.“

Den Ausschluss der Tiere aus der Ethik beschrieb der weltberühmte deutsch-französische Theologe und Philosoph, Kirchenmusiker und Urwaldarzt, Friedensnobelpreisträger und Tierschützer mithilfe eines anschaulichen Vergleiches: „Wie die Hausfrau, die die Stube gescheuert hat, Sorge trägt, dass die Türe zu ist, damit ja der Hund nicht hereinkomme und das getane Werk durch die Spuren seiner Pfoten entstelle, also wachen die europäischen Denker darüber, dass ihnen keine Tiere in der Ethik herumlaufen.“

Als Beschreibung des Status quo ist Schweitzers Vergleich der Tierethik mit einem von der Hausfrau ausgesperrten Hund zweifellos zutreffend. Doch Albert Schweitzer hat nicht mit Charlotte Probst gerechnet. Auf sie trifft das Bild nicht zu. Charlotte Probst weigerte sich nämlich, die Rolle der untertänigen Hausfrau zu spielen, die die Stube für die feine Gesellschaft der Menschen putzt und die Tiere daraus aussperrt. Sie wurde vielmehr zu einer mutigen, engagierten, ungehorsamen Volksschullehrerin, die die Tiere durch die Schultore herein ließ und ihre Schülerinnen und Schüler mit ihnen vertraut machte: „Tierschutz gehört in den Unterricht!“ lautete ihr Motto.

Mit dieser und vielen anderen Initiativen leistete Charlotte Probst in der Steiermark und weit darüber hinaus Pionierarbeit für den Tierschutz: Sie gründete den Verein der „Tierbefreier“ bzw. das Projekt „Tierschutz im Unterricht“, und stellte ihm die Akademie für Tier-Mensch-Beziehungen als wissenschaftliche Einrichtung zur Seite. Sie trat entschieden und wortgewaltig gegen Jagd, Pelzindustrie, Tierversuche, Intensiv- und Massentierhaltung auf. Zusammen mit anderen setzte sie sich für eine vegetarische und später vegane Lebensweise ein, und dies lange bevor das gesellschaftlich akzeptiert war. Sie schrieb ein grundlegendes Buch über die Pädagogik des Tierschutzes und zahlreiche Beiträge zum Thema. Sie trat im Radio und Fernsehen auf. Und Charlotte Probst wirkte entscheidend daran mit, dass das Tier im österreichischen Gesetz seit mehr als drei Jahrzehnten nicht mehr als „Sache“, sondern als „Mitgeschöpf“ bezeichnet wird.

Charlotte Probst hat für ihren Tierschutzunterricht und ihren umfassenden Einsatz mehrere hohe Auszeichnungen erhalten. Wer sich konsequent tierfreundlich verhält, kann allerdings nicht „everybody’s darling“ sein. Er oder sie wird nicht selten unfair behandelt und von anderen gekränkt. Durch ihr Engagement hat sich Charlotte die Sympathien mancher Lehrerkolleginnen und -kollegen, vieler Geistlicher und fast aller Jäger verscherzt. Aber sie hat dadurch auch viele neue Freunde und Mitstreiterinnen gewonnen. Ich hatte das Glück und die Ehre, einer davon zu sein. Ich bin außerordentlich dankbar dafür. Wir alle sind außerordentlich dankbar dafür.

Im eingangs erwähnten, 2016 erschienenen Band über prominente Frauen und Männer, die sich beispielhaft für Tiere einsetzen, wird Charlotte Probst als „,große alte Dame‘ des österreichischen Tierschutzes“ bezeichnet.

Die „große alte Dame des österreichischen Tierschutzes“ ist nicht mehr unter uns. Sie nimmt jetzt am himmlischen Festmahl teil, wo es selbstverständlich nur vegetarische und vegane Speisen gibt. Papst Franziskus hat es in seiner Enzyklika “Laudato Si`“ wie folgt beschrieben: „Das ewige Leben wird ein miteinander erlebtes Staunen sein, wo jedes Geschöpf [also auch jedes Tier!] in leuchtender Verklärung seinen Platz einnehmen … wird.“ (Nr. 243)

Charlotte Probst nimmt jetzt ihren Platz beim himmlischen Festmahl ein, neben ihrem Ehemann und den vor ihr verstorbenen Verwandten und, davon bin ich tief überzeugt, in unmittelbarer Nähe zu Albert Schweitzer und Franz von Assisi. Um Charlotte Probst scharen sich aber auch alle verstorbenen Tiere Groß und Klein, die sie liebte und welche sie liebten. Und das sind sehr, sehr viele.